Die Tage der Neuen Musik Würzburg haben die Messlatte nach oben gestemmt
Konzertkritik für die neue musikzeitung (Archiv)
Vom 25. bis 30. Januar fanden in Würzburg die 23. Tage der Neuen Musik unter dem Motto “Run Time Error” statt. Benannt nach Simon Steen-Andersens gleichnamiger Werkreihe ist die altbekannte Fehlermeldung hier nicht nur musikalisches Programm: Die Fehleranfälligkeit laufender Systeme zeigte sich in dem Festival selbst – der dennoch fast reibungslose Ablauf belohnte aber die mutige Planung. Die kleine Biennale wechselt sich eigentlich jährlich mit den Tagen der Alten Musik ab, musste nun aber – aus wohlbekannten Gründen – aus 2021 nachgeholt werden. Zudem wurde statt der ursprünglich geplanten sechs Konzerte einen Tag vor Beginn unfreiwillig auf vier herab gestutzt, da das Philharmonische Orchester des Mainfranken Theaters wegen Infektionsfällen die großen Sinfoniekonzerte absagen musste.
Der zentrale Block des Eröffnungskonzertes war Señales von Hilda Paredes. Kein geringerer als Irvine Arditti an der Solovioline führte das Studierendenensemble mit virtuoser Routine durch das zwanzigminütige Stück. Bis auf das stimmungsvolle Wechselspiel für Bassklarinette, Akkordeon und Video “Ausgedehnter Augenblick” von Farzia Fallah, das vorher erklang, bestand das Eröffnungskonzert sonst nur aus Werken der Studierenden der Kompositionsklassen von Andreas Dohmen und Robert H.P. Platz: Yuri Choi kombinierte in Graffiti fein differenziertes Sprühdosenzischen mit Luft- und Flüsteraktionen, Xingni Li spielte in Herzschatten mit im Raum verteilten Instrumentalist*innen und Romeo Wecks präsentierte nicht nur sein farbig instrumentiertes Dunkler Winter, sondern dirigierte auch das Ensemble so nüchtern-souverän wie gleichzeitig ausdrucksstark. Es tut gut, Werke der Nachwuchskomponist*innen an so einer prominenten Stelle im Festival zu sehen. So hält es den Balanceakt zwischen Hochschulveranstaltung und beachtlichem Kulturereignis mit prominenten Gästen. Auch beweisen die Tage der Neuen Musik so eine risikofreudige Selbstverpflichtung zur lebendigen, zur zukünftigen Musik.
Nicht nur im Mittelpunkt sondern tatsächlich im Alleingang bestritt Irvine Arditti die erste Hälfte des Konzerts der Kompositionsklassen am Folgeabend. Inspiriert von einem Sternekoch vertonten Studierende in enger Workshop-Zusammenarbeit mit dem Briten die sechs Hauptgeschmacksrichtungen zu Charakterstücken, die wiederum von ihren Kommilton*innen in sogenannten Meta-Kompositionen weiterverarbeitet wurden. Arditti präsentierte sechs Häppchen dieses kollaborativen Prozesses zwischen Komponist*innen und Geiger, wie auch zwischen den Studierenden untereinander. Trotz der engen Materialverwandtschaft und der gleichbleibenden Besetzung zeigte sich hier eine beachtliche Vielfalt und erfrischende Synästhesieerfahrung für das Publikum.
Yaron Deutsch (E-Gitarre) und Stefan Prins (Komposition/Live Elektronik) boten in ihrem Konzert eine willkommene Abwechslung zu den analogen Instrumentalklängen der Vorabende. In einer längeren Umbaupause der Technik scherzte Prins in die peinliche Stille: “It’s like seeing the cook in the kitchen”, was auf einen zweiten Blick auch die Performance gut erfasst: In seinem Stück Not I verzerrt die auf dem Weg von Gitarre zu Verstärker intervenierende Elektronik spielerisch die Beziehung von sichtbar gespieltem und Klangergebnis – What you see isn’t necessarily what you get. Wie schon bei den Geschmacksvertonungen der Platz-Studierenden ist es die Manipulation, Erfüllung oder Negation der Erwartungen, die für die Würze sorgt: Die Zutaten, vielleicht auch das Rezept sind vorher klar, doch erst die kleinen Kniffe machen den Braten richtig fett.
Das Highlight des Festivals war die letzte Veranstaltung, ein Wandelkonzert im Museum im Kulturspeicher Würzburg. Der Composer in Residence, Simon Steen-Andersen, der bisher mit keinem seiner Werke vertreten war, stand nun klar im Mittelpunkt und präsentierte fünf Stücke. Gerade in dieser vielfältigen Bandbreite zeigt sich die große Stärke seiner Kunst, die es im kongenialen Zusammenspiel von Ton, Video und Performance immer schafft, für das Publikum so nachvollziehbar wie kurzweilig und unterhaltsam zu sein, ohne gefährlich ins Banale abzurutschen. So wird beispielsweise in Asthma für Akkordeon und Video (Akkordeon: Olivia Steimel) spielerisch mit Assoziationen und Erwartungen hantiert oder in History of my Instrument Andreas Mildner mitsamt seiner Harfe als musizierende Leinwand für eine alte Filmaufnahme einer Harfenistin missbraucht, während er simultan ihre Bewegungen auf die Bühne transponiert. Abschluss des Festivals war das titelgebende Run Time Error. Steen-Andersen führte eine Video-Performance der Werkreihe (wie man sie mehrfach im Netz findet) aus dem letzten Jahr aus der Bibliothek Oodi in Helsinki vor. Mithilfe von Joy-Sticks manipuliert er als menschlicher Systemfehler den reibungslosen Ablauf der Datei, beschleunigt, verzögert, loopt und lässt das Video im improvisierten Duett mit sich selbst tanzen.
Gerade in einer solchen mittelgroßen Stadt ohne wirklich lebendige Neue-Musik-Szene sind die Tage Neuer Musik eine unverzichtbare Bereicherung für das Konzertleben. Trotz all der Widrigkeiten wurde mit mutigen Formaten und hoher musikalischer Qualität im Vergleich zu den Vorjahren die Messlatte sehr vielversprechend nach oben gestemmt.