Konzertkritik für die neue musikzeitung | Ensemble Recherche & Isabel Mundry beim Mozartfest Würzburg 2022 (Archiv)
Für das diesjährige Würzburger Mozartfest wählte man die Komponistin Isabel Mundry als „Artiste étoile“ aus. Für acht Konzerte kuratierte die Münchnerin in Zusammenarbeit mit Ensembles die Programme und steuerte eigene Werke und Uraufführungen bei. Im Rahmen dessen feierten mit den Ensembles Musikfabrik, Resonanz und Recherche drei Klangkörper ihr Debüt, die sich vorher wohl nur wenig mit dem klassikfokussierten Festival identifizierten. Das „verspielteste“ der von ihr kuratierten Konzerte nannte Mundry den Abend mit dem Ensemble Recherche, ein Konzert das eng auf das Zusammenspiel zwischen damals und heute setzt.
Mit Morton Feldmans The Viola in My Life 3 erwuchs das Programm aus der Stille vor den ersten Tönen. Die Intimität Feldmans wirkt wie ein Magnet in die – etwas unvorteilhafte – Akustik des barocken Kaisersaals der Residenz, den Fokus eng auf das schlichte Duo zwingend und ganz im Kontrast zu der Stuck-schwangeren Opulenz des Raums. Die folgenden Stücke gingen mit kurzen Improvisationen des Ensembles nahtlos ineinander über: Die akustische Umrahmung determiniert extrinsisch die Interpretation und das Hören, gleichzeitig verhindert der durchkomponierte Teppich aber jeden Mut zur Stille, der für Feldman noch so gekonnt mitgedacht wurde. Vermutlich dieser Durchgängigkeit geschuldet war das Klavier in The Viola in My Life auch von Beginn an bereits mit Papier oder Folie präpariert: Ein neues Gewand für den schlichten Klassiker – aber in seinem brüchigen Klang kein wirklich überzeugendes.
In Mudrys Re-Reading von Mozarts C-Dur Fantasie wird das Klavier durch Schlagwerk angereichert. In ein stimmiges Mosaik von Klangaktionen werden Motivfetzen gebettet, ehe die schnarrende Präparation mit Verstärkung der Perkussion dieses allmählich korrumpiert. Das Londoner Skizzenbuch, in das der achtjährige Mozart erstmals ganz ohne väterlichen Korrekturstift seine Ideen kritzelte, ist Herzstück des Programms. Ein wahres Kleinod ist das Allegro, das der Siziliane Salvatore Sciarrino für Streichtrio plus Oboe instrumentierte. Im direkten Anschluss an Sciarrinos Codex Purpureus mit seinen diffizilen Streicheraktionen bleibt hier die performative Energie erhalten: Die Musiker*innen, die sich so penibel der Klangerzeugung einzelner Noten widmen, gestalten das banale Allegro so pointiert, als ginge es bei jedem Ton ums Ganze.
Das Neue sollte aber nicht nur in die Lesart des Alten hineinreichen, sondern auch andersrum. So wob Mundry ihr Ensemblestücks Sandschleifen in Mozarts Oboenquartett F-Dur ein. Nach einem anfänglichen Hin- und Her erklang das KV 370 vollständig und ohne den improvisierten V-Effekt der Überleitungen. So funktioniert dieses zwar als dramaturgischer Schwerpunkt mit zeitgenössischem Pro- und Epilog, aber – zum Glück – nicht als tonaler Ruhepunkt inmitten der sich nur allmählich aufdröselnden komplexen Texturen Mundrys. Der Dialog beider Stücke wirkt als gegenseitiger Katalysator: Abgründe werden tiefer und Verspieltes leichter. Sandschleifen geht selbst auf einen Text von Karsten Feldmann zurück, der in mehreren Anläufen ein Bild von Sigrid Klemm beschreibt. Zu dieser fruchtbaren Unzureichbarkeit in der Diskrepanz der Disziplinen gesellt sich der historische Abgrund als neue Dimension, aus dem noch so vieles zu schöpfen scheint.