Konzert Kritik in der Mainpost vom 31.07.2022 (Archiv)
„Wir sind die Hand, die auf die andre Wange schlägt, die Hand, die den Finger in die Wunde legt. Wir sind die Hand, die untätig bleibt. Wir sind die Hand, die diese Zeilen schreibt.“ – das Duo Caroline No, das sehr kurzfristig für das Konzert eingesprungen war, sang ganz nebenbei das Motto für die „Songs an einem Sommerabend“ beim Würzburger Hafensommer. Am Samstagabend kam das traditionsreiche Festival zu seiner 32. Ausgabe, von 1987 bis 2017 auf Kloster Banz, nun schon zum zweiten Mal hier in der Stadt des Ur-Liedermachers Walter von der Vogelweide. Die Beteiligten zeigten sich glücklich über den Umzug in das eindrucksvolle Hafenambiente: „Es ist genau dieses Songs-an-einem-Sommerabend-Gefühl da“, schwärmt Moderator Matthias Brodowy, „Ich finde, das hier ist viel, viel moderner als Banz“, das Urgestein Manfred Maurenbrecher. Der Sommerabend war ein langer: In knapp viereinhalb Stunden bot sich ein Mini-Festival, das zwar deutlich intimer war als die großen kommerzialisierten Spektakel auf Banz, aber dennoch eine vielfältige Bandbreite der Liedermacherwelt abdeckte.
Neben dem oben genannten Duo, ein Eigengewächs der Würzburger Musikhochschule, das seine Klavierlieder um elektronische Klangflächen, Beats und Effekte bereicherte, und Maurenbrecher, der sich die Bühne mit dem Saxophonisten Richard Wester teilte, waren vier weitere Acts zu Gast, krankheitsbedingt gab es dabei einige Unterschiede zu den Ankündigungen. Das – nicht nur musikalische – Paar „Mackefisch“ bewegte sich in cleveren Arrangements zwischen romantisiert-mondänem Glück, Fremdenhass und Klimakrise, Lars Reichov, selbstdiagnostiziert im „Deutschlandblues“, spart nicht mit aktuellen politischen Kommentaren im fein pointierten Kabarettstil, und Karsten Troyke bot sein Spezialgebiet, den vom Aussterben bedrohten jiddischen Tango, mit bittersüßen Zeilen wie „Liebe, ’s is a Gefil, vus martert iedm“ („Liebe ist ein Gefühl, das quält jeden“) und das schwungvolle „Padam“ des vertriebenen Würzburger Komponisten Norbert Glanzberg.
Es ist das Nebeneinander aus Protestliedern und Persönlich-Gefühlvollem, das die Szene so ausmacht: Das Private ist politisch, oder wie Marcus Wiebusch mal auf den Einwand, er könne doch nicht direkt Liebeslieder auf Protestsongs folgen lassen, sagte: „Digga, es ist das gleiche Herz“. Brodowy griff den „Hirnschiss“ von Querdenkern und Rechten an, nachdem in der letzten Zeit ja so manche*r Künstler*in zwischen Verschwörungsmythos und Putin irrlichtete. Auf Barbara Zanetti, die mit ihrem „Der Ring“ einen Polit-Song lieferte, der hinter Anklängen von Hufeisentheorie so unkonkret alles und nichts bedeutete, folgte Maurenbrecher, der hingegen in seinem „Frieden im Krieg“ ein virtuos-kritisches Feingespür für all die Zwischentöne und Ambivalenzen im Angesicht des Ukrainekriegs bewies. Die besten Songs an diesem Sommerabend trugen eben sowohl das private und politische Herz in ihrer Brust und waren von Menschlichkeit und Widersprüchen gezeichnet – von genau solchen Händen gemacht.