Verzweifelte Stimmen aus Kabul

Die Initiative Kabul_Musicians meldet sich auf Twitter zu Wort
Bericht für die neue musikzeitung (Archiv)

Während im Herbst 270 Mitarbeiter*innen und Studierenden mit ihren Familien des Afghanistan National Institute of Music in einer waghalsigen Evakuierung nach Portugal gerettet werden konnten (siehe nebenstehender Artikel), hatten viele andere Musiker*innen nicht so viel Glück und landeten bisher auf keiner der Evakuierungslisten.

Auf Twitter möchte die Initiative @Kabul_Musicians Aufmerksamkeit für die zurückgelassenen Studierenden der Musikfakultät der Universität Kabul erregen – besonders nach Deutschland sind die Hilferufe gerichtet. Den Account führt Ahmad I. (Name geändert), er befand sich zum Einmarsch der Taliban im letzten Semester seines Kompositionsstudiums. Die Fakultät wurde maßgeblich vom deutschen Goethe-Institut mitfinanziert und unterstützt, auch in Form von Instrumenten und Workshops. Ahmad vertritt mit dem Account eine Gruppe von über 60 Musiker:innen, die wie er dort studierten. Inklusive der Familien hat er eine Liste von 113 Menschen gesammelt, deren Überlebenschancen bis heute von deutscher Hilfe abhängen. All ihre Lehrer und Professoren wurden schon lange nach Deutschland evakuiert. Ahmad schreibt der nmz: “Professionelle Musiker.innen, die eines der Hauptziele der Taliban sind, wurden völlig zurückgelassen. Ich betreibe diese Kampagne, weil uns das Goethe-Institut und der deutsche Staat uns all die Jahre im Studium unterstützt hat, doch nun wo wir wirklich auf sie angewiesen sind, schweigen sie! Wir brauchen dringend Hilfe, wir sind in großer Gefahr. Die deutsche Regierung interessiert sich nicht für uns, nicht einmal das Institut!”. 

Dass die Ampel-Regierung neue Maßnahmen zur Evakuierung angekündigt hat, ist nun schon Monate her, den Menschen in Kabul rennt die Zeit davon: “Wir wissen bis heute nicht, ob Deutschland uns helfen wird oder nicht”, erklärt Ahmad, “Ich stehe in Kontakt mit Axel Steier, einem Vorstand von Mission Lifeline. Er versucht uns zu unterstützen, weiß aber auch nicht, wie es weitergehen kann.” Zuletzt gab Steier bei der Frankfurter Rundschau einen ernüchternden Zwischenstand zu spüren: “Ich habe keine positiven Erwartungen mehr an die Bundesregierung. Ich erwarte, dass sie uns – sich selbst auf die Schulter klopfend – ein Aufnahmeprogramm präsentieren, mit dem sie (für sich nützliche) Menschen in geringem Umfang rausholen wollen Menschenrechtler*innen, Journalist*innen und Akademiker*innen – eben Menschen, mit denen man sich als „an Menschenrechten ausgerichtete“ Regierung schmücken kann.” Die undurchsichtigen Kriterien, nach denen die Evakuierungslisten inzwischen aussortiert werden, nennt er pure “Willkür”.

Den Musiker:innen, die sich bis heute verstecken müssen, geht das Geld aus. Das bloße Warten auf eine Perspektive ist für die Familien eine existenzielle Zeitfrage, ohnehin leiden in dem Land laut UN bereits 4,7 Millionen Menschen, an „schwerer Unterernährung“. Doch es gibt auch kleine Lichtblicke: Die deutsche Musikproduzentin Revolution Child unterstützte über die letzten Monate Kabul_Musicians und konnte zuletzt immerhin die Evakuierung einer Familie erkämpfen.

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