Der Oud-Spieler Thabet Azzawi war Dozent im mu:v-Camp 2018 und wollte dort viel mehr vermitteln als nur richtige Noten
Reportage für die neue musikzeitung und Jeunesses Musicales (Archiv)
„Musik verbindet“ – so lautet das Motto des alle zwei Jahre stattfindenden mu:v-Camps der JMD. Hierbei werden verschiedene Brücken geschlagen: Junge Musikbegeisterte aus den verschiedensten Ecken der Republik kommen zusammen, und ein Team von Dozentinnen und Dozenten hilft, über den gewohnten Genre-Tellerrand hinwegzuspielen. So probiert sich eine Violinistin in Jazz-Improvisation, tanzen Blasmusiker Musical-Choreographien und erlernen Domsingknaben das Beatboxen. Bei Thabet Azzawis Kurs zum Thema „Orientalische Musik und ihre Spielweisen“ sind die Grenzen, die überwunden werden, nicht nur die der Genres; es geht dort auch um den interkulturellen Austausch jenseits von Nationen und Kontinenten.
Man sieht dem 27-jährigen Oud-Spieler nicht an, wie sehr er das Motto des Camps vorlebt. Glatze, Hornbrille, Flip-Flops und das ansteckende Lachen täuschen vielleicht zunächst darüber hinweg, dass Thabet Azzawi bereits vier Jahre der Flucht aus Syrien, zwei Bürgerkriege und unzählbare rassistische Anfeindungen in seiner neuen Dresdner Heimat hinter sich hat.
Kurz nach seiner Ankunft in Deutschland schloss sich Azzawi 2015 der Dresdner Banda Comunale an, die sich zu diesem Zeitpunkt in Banda Internationale umbenannte. Die Band, 2001 als Reaktion auf rechte Aufmärsche gegründet, errang durch ihr soziokulturelles Engagement auf Demonstrationen und verschiedene integrative Projekte mit jungen Migrantinnen und Migranten zunehmend Bekanntheit und gehört heute fest zur antifaschistischen Musikszene. Seinen Deutschkurs brach Azzawi schnell ab, um auf eigene Faust weiter zu lernen – dem Englisch-Muttersprachler ging es im Kurs mit den anderen schlicht zu langsam vorwärts – so war das gemeinsame Musizieren sein Schlüssel zur Integration. Mit dem Ziel, genau das weiterzugeben, gibt er seitdem regelmäßig Workshops für Kinder und Jugendliche aller Altersklassen. Oft sind es die Städte und Gemeinden selbst, die auf den aufkommenden Rassismus reagieren und bei der Band für Projekte an örtlichen Kindergärten oder Schulen anfragen.
Im mu:v-Camp will er erst einmal Berührungspunkte schaffen, die Jugendlichen da abholen, wo sie stehen. So beginnt er seinen Kurs mit dem Hören verschiedener Musikbeispiele, erklärt orientalische Tonsysteme, ausgehend vom vertrauten Dur-Moll-System und gibt erste Einblicke zum Thema Mikrotonalität. „Jeder Streicher hört zumindest manchmal Jazz im Radio, aber orientalische Musik kennt hier einfach keiner“, berichtet er und zeigt den Unterschied zu anderen Programmpunkten des Camps auf. Von der Theorie geht es auch gleich in die Praxis: Den Rahmen bilden zwei Volkslieder aus dem Iran und Syrien, wobei hier klar im Mittelpunkt das Ziel steht, anhand von Improvisation ein Gefühl für die neu entdeckte Art des Musizierens zu entwickeln.
Es soll um die Musik gehen. Über Politik redet Azzawi wie auch hier meistens nicht. Dass dies für das Vermitteln von Toleranz und Werten auch gar nicht nötig ist, weiß er aus Erfahrung. Geschichten hat er genug zu erzählen, wie etwa die von einem sächsischen Grundschulkind aus schwierigeren familiären Verhältnissen, das bei einem seiner Workshops anfangs vorurteilsbehaftete Fragen wie „Wie war es für dich, hier in Deutschland das erste Mal Jeans zu tragen und das Internet zu sehen?“ stellt. Der 27-Jährige, der neben der Musik Medizin an der TU Dresden studiert und aus einer hoch gebildeten syrischen Ärztefamilie stammt, fühlt sich durch so etwas keineswegs beleidigt. „Kinder spüren es, wenn man sie ernst nimmt“, hat er erkannt, und genau so sollen in seinen Workshops Dinge klar ausgesprochen und zur Diskussionsgrundlage werden. Eben dieses Grundschulkind wurde im Verlauf immer sensibler für die Thematik, bis es sich, so erzählt es Azzawi, am nächsten Montag mit seinem Vater stritt, der wie gewohnt zur PEGIDA-Demonstration aufbrechen wollte.
Das Arbeiten mit Erwachsenen haben er und seine Banda inzwischen aufgegeben. „In zwei Stunden Arbeit mit Kindern erreichst du viel mehr als an einem ganzen Tag mit Erwachsenen.“ Zu viele schlechte Erfahrungen hätten sie gesammelt. Oft war der Satz „Wenn doch nur alle Ausländer wären wie du“ das Maximum an Verständnis, das nach intensiver Arbeit zu spüren war. Als erfolgreicher Musiker, der unter anderem schon mit den Dresdner Philharmonikern, Konstantin Wecker und Sting auftrat, als fließend Deutsch sprechender Medizinstudent und Stipendiat der Studienstiftung des Deutschen Volkes kann und will er keine Messlatte für Integration sein. Azzawi ist sich der Realität bewusst, ein Erfolg der Rechtspopulisten bei der nahenden sächsischen Landtagswahl hängt als drohendes Damoklesschwert über der Zukunft seiner Banda. Dennoch ist er voller Hoffnung, etwas verändern zu können: „Unsere Gegenwart sieht schlecht aus – besonders in Dresden. Wir arbeiten für die Zukunft.“
Nach dem mu:v-Camp geht es für ihn wieder auf die Bühne, ein Auftritt im erzgebirgischen Pirna steht an. 8,5 Prozent NPD im Stadtrat, 34,1 Prozent AfD bei der Bundestagswahl – beim dortigen Konzert letztes Jahr formierte sich rechter Gegenprotest. Azzawi und seine Kollegen nehmen so etwas gelassen: „Die ärgern sich und schimpfen, wir singen und tanzen.“