We don’t need no education?

Beitrag in „Oper raus! Ästhetische Neuformatierungen und gesellschaftliche Widersprüche“ (Ulrike Hartung, Kornelius Paede, Hrsg.), erschienen im utzverlag.

We don’t need no education?

Pädagogische Zuschreibungen an das Musiktheater

Im Sprechen über Theater und Musiktheater sind Begriffe aus dem Feld der Pädagogik ein ständiger Begleiter. Geht es um die Legitimation, kommt ein „Bildungsauftrag“ ins Spiel, im Positiven wie im Polemischen wird „Erziehung“ herangezogen, artverwandte Floskeln von „Kultivierung“ über „Tugend“ und „Ethik“ umkreisen die Sphäre der „moralischen Anstalt“ (Schiller 1867).

Das ist genauso wenig neu wie verwunderlich, teilt doch der Theaterbetrieb dieselben aufklärerischen Prägungen wie die Erziehungswissenschaft, besinnt sich ebenso gerne auf sie und versucht ebenso oft, deren hartnäckiger Klammer zu entfliehen. Doch bei aller begrifflichen Vernebelung ist es häufig schwer, den Kern von Legitimationsversuchen, Vorwürfen, Zielsetzungen und Werturteilen zu entziffern und daraus Schlüsse für das eigene künstlerische Handeln zu ziehen: Will das Musiktheater Publikum erziehen? Tut es das unfreiwillig sowieso? Muss Theater als Bildungsangebot etwas bieten oder reicht seine bloße Existenz?

Viel weniger relevant ist hier aber die Betrachtung pädagogischer Topoi im Musiktheatersprech als die ideologische Färbung, die die Diskurse dabei prägt. Grundsätzlich haben Begriffe der Pädagogik als geisteswissenschaftlicher Disziplin das Pech, Alltagssprache zu sein. Und wo im deutschsprachigen Wissenschaftsdiskurs die Grenzlinien im Dreigestirn Sozialisation – Erziehung – Bildung mit Wortgewalt verteidigt werden, wie später noch skizziert wird, sind sie der Bevölkerung, die alltäglich alles drei aktiv und passiv praktiziert und erfährt, genauso herzlich egal, wie dem Theaterpublikum und -schaffenden … (weiterlesen)


zum Buch:

Gesellschaftliche Widersprüche treiben die Oper aus der Komfortzone. Ihr stehen massive strukturelle Transformationen und ästhetische Neuformatierungen ins Haus – und bisherige Gewissheiten über Werk, Raum und Repräsentation werden grundlegend auf den Prüfstand gestellt. Das vorliegende Buch spürt diesem Spannungsfeld von Struktur und Ästhetik nach, porträtiert künstlerische Positionen und zugespitzte Diskurslagen und zeigt, wie die Oper den Verhältnissen ihre eigene Melodie vorsingt: auch am Beispiel des Staatstheaters Kassel zwischen Raumbühne, Theater des Erlebnisses und spartenübergreifendem Labor des zeitgenössischen Musiktheaters.

Mit künstlerischen Positionen von Paul-Georg Dittrich, Sebastian Hannak, Florentine Klepper, Lulu Obermayer, Kerstin Steeb und Beiträgen von Dietmar Dath, Ulrike Hartung, Marie-Anne Kohl, Felix Linsmeier, Teresa Martin, Kornelius Paede, Willem Strank, Tillmann Triest sowie Gesprächen mit Melanie Fritsch, Florian Lutz und Wolfgang M. Schmitt.